Event Data Recorder: Die Black Box fürs Fahrzeug
Author: Michael Vogel
Vor rund 70 Jahren wurde für Flugzeuge der Flugdatenschreiber erfunden. Der Event Data Recorder (EDR), der Unfalldatenschreiber für Fahrzeuge, wird in der EU ab Mitte 2024 verpflichtend. So unterschiedlich die Technologien auch sind - beide helfen, die Unfallanalytik zu verbessern.
Zunächst fand David Warrens Idee fand wenig Gegenliebe bei seinem Vorgesetzten. Eigentlich entwickelte Warren, Ingenieur an einem Luftfahrtforschungslabor des australischen Verteidigungsministeriums, Treibstofftanks. Doch nachdem er Teil einer Untersuchungskommission zweier Flugzeugabstürze war, ersann er eine Lösung, mit der sich die Gespräche im Cockpit aufzeichnen lassen, um verlässlicher die Absturzursachen ermitteln zu können. Das war 1954. Bei seinem späteren Chef fand der Ingenieur mehr Gehör und durfte einen Prototyp des Flugdatenschreibers entwickeln, der dann das Interesse der britischen Flugaufsichtsbehörde weckte.
Erfolgsgeschichte der Black Box
Es war der Durchbruch für die Black Box, den Flugdatenschreiber. 1963 war Australien das erste Land, das Daten- und Stimmrekorder verpflichtend für alle Flugzeuge einführte. Weitere Länder folgten bald. Heute ist die Black Box, die ja eigentlich rot oder orange ist, längst Standard – und hat geholfen, viele Unglücke aufzuklären. Warren gilt gemeinhin als Erfinder der Black Box, auch wenn es bereits während des Zweiten Weltkriegs und den Jahren danach in diversen Ländern ähnliche Entwicklungsansätze gab.
Pflicht für Neuwagen ab Juli 2024
Ab Juli 2024 wird nun das automobile Pendant zum Flugdatenschreiber in allen Neuwagen Pflicht, die in der EU zugelassen werden. Offiziell heißt die Black Box hier Event Data Recorder. Sie muss nicht die Kräfte aushalten, die bei einem Flugzeugabsturz auftreten. Und sie zeichnet keine Gespräche auf, wie dies im Cockpit der Fall ist. Ein Flugzeug ist ein öffentliches Verkehrsmittel, das einem ganz anderen datenschutzrechtlichen Rahmen unterliegt als ein Privatfahrzeug. Doch in einem Punkt gleichen sich die beiden Geräte: Mithilfe der aufgezeichneten Daten sollen sich Unfallhergänge zuverlässiger rekonstruieren lassen.
Der EDR zeichnet kontinuierlich relevante Daten auf, speichert sie allerdings erst dauerhaft, wenn er eine Geschwindigkeitsänderung in Längs- oder Querrichtung von mehr als acht Kilometer pro Stunde innerhalb von 150 Millisekunden registriert. Ohne dieses Auslösesignal werden die aufgezeichneten Daten immer wieder überschrieben.
Das Gerät speichert konkret Daten zum Geschwindigkeitsverlauf in Längs- und Querrichtung, zur Stellung von Gas- und Bremspedal, zu Motordrehzahl und Lenkwinkel, zu Antiblockiersystem und Stabilitätskontrolle. Des Weiteren erfasst es, ob die Insassen angeschnallt sind, sowie das Auslösen von Gurtstraffern und Airbags. Häufig steckt der EDR im Airbag-Steuergerät, weil dort ohnehin viele der benötigten Informationen zusammenlaufen. Die gespeicherten Daten lassen sich nicht per Funk auslesen, sondern nur über eine physische Wartungsschnittstelle.
Europäische Unfallforschung setzt auf Daten zur Unfallauswertung
Für die Unfallforschung in Europa sind Daten, wie sie der EDR liefert, kein Neuland. „Sie fielen bereits bislang in Fahrzeugen an, nur dass es eben keinen standardisierten technisch-gesetzlichen Rahmen für das Speichern und Auslesen gab“, sagt Peter Rücker, Leiter Unfallanalytik und Unfallforschung bei DEKRA. „Wir nutzen solche Daten aber schon mehrere Jahre für die Analyse komplexer oder strittiger Unfälle – falls der Halter dem zugestimmt hat beziehungsweise ein Gericht es angeordnet hat.“ Um an die Daten zu kommen, seien sein Team und er dabei oftmals auch auf die Kooperationsbereitschaft des Herstellers eines betroffenen Fahrzeugs angewiesen gewesen.
„Man könnte jetzt denken, dass Sachverständige künftig einfach den EDR auslesen, um einen Unfallhergang zu analysieren“, so Rücker. „Aber das wäre ein süßes Gift, weil natürlich auch ein EDR nur Daten liefert, keine Einordnung und Interpretation. Außerdem ist wichtig zu wissen, an welcher Stelle und wie die Daten gemessen werden.“ Wenn sich zum Beispiel das Rad eines Fahrzeugs frei in der Luft dreht, bringen die Geschwindigkeitsdaten wenig, die am Rad abgegriffen werden. Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind EDR-Daten, wenn ein Fahrzeug quer zur Fahrtrichtung schlittert. „Daher gelten die EDR-Daten bei uns als weiteres Standbein, um die bewährten Analyseverfahren zu ergänzen, nicht mehr und nicht weniger“, so Rücker.
Mehr Klarheit für Mehrfachkollisionen
Ein Szenario, bei dem die EDR-Daten künftig für mehr Klarheit sorgen dürften, sind Auffahrunfälle auf Autobahnen, an denen mehrere Fahrzeuge beteiligt sind. „In Mehrfachkollisionen geht es bei der Schuldermittlung immer um die Frage, welche Fahrzeuge jeweils wann und wo genau zum Stillstand gekommen sind“, erklärt Rücker. „Die EDR-Daten können sich dabei als das fehlende Puzzleteil entpuppen.“
Mit der Einführung des EDR steht die EU übrigens nicht alleine da. In den vergangenen zwei Jahrzenten haben andere Länder ähnliche Systeme eingeführt, wenn auch mit variierenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zu diesen Ländern gehören die USA, Japan und Südkorea – und in jüngster Zeit auch China. Es gibt zudem eine UN-Richtlinie, die auf eine weltweite Harmonisierung des EDR abzielt.
Die Black Box im Auto könnte sich nun also ähnlich rasch verbreiten wie damals der Flugdatenschreiber – trotz aller Skepsis, die in Europa teils noch in puncto Privatsphäre herrscht. Übrigens gab es solche Bedenken auch beim Flugdatenschreiber. Die australische Pilotengewerkschaft etwa bezeichnete den von Warren vorgestellten Prototyp als „Spion, der mitfliegt“. Kein Flugzeug werde in Australien abheben, „wenn Big Brother lauscht“.
„Die EDR-Daten können sich als das fehlende Puzzleteil entpuppen.“
Peter Rücker, Leiter Unfallanalytik und Unfallforschung bei DEKRA
„Man könnte jetzt denken, dass Sachverständige künftig einfach den EDR auslesen, um einen Unfallhergang zu analysieren“, so Rücker. „Aber das wäre ein süßes Gift, weil natürlich auch ein EDR nur Daten liefert, keine Einordnung und Interpretation. Außerdem ist wichtig zu wissen, an welcher Stelle und wie die Daten gemessen werden.“ Wenn sich zum Beispiel das Rad eines Fahrzeugs frei in der Luft dreht, bringen die Geschwindigkeitsdaten wenig, die am Rad abgegriffen werden. Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind EDR-Daten, wenn ein Fahrzeug quer zur Fahrtrichtung schlittert. „Daher gelten die EDR-Daten bei uns als weiteres Standbein, um die bewährten Analyseverfahren zu ergänzen, nicht mehr und nicht weniger“, so Rücker.
Mehr Klarheit für Mehrfachkollisionen
Ein Szenario, bei dem die EDR-Daten künftig für mehr Klarheit sorgen dürften, sind Auffahrunfälle auf Autobahnen, an denen mehrere Fahrzeuge beteiligt sind. „In Mehrfachkollisionen geht es bei der Schuldermittlung immer um die Frage, welche Fahrzeuge jeweils wann und wo genau zum Stillstand gekommen sind“, erklärt Rücker. „Die EDR-Daten können sich dabei als das fehlende Puzzleteil entpuppen.“
Mit der Einführung des EDR steht die EU übrigens nicht alleine da. In den vergangenen zwei Jahrzenten haben andere Länder ähnliche Systeme eingeführt, wenn auch mit variierenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zu diesen Ländern gehören die USA, Japan und Südkorea – und in jüngster Zeit auch China. Es gibt zudem eine UN-Richtlinie, die auf eine weltweite Harmonisierung des EDR abzielt.
Die Black Box im Auto könnte sich nun also ähnlich rasch verbreiten wie damals der Flugdatenschreiber – trotz aller Skepsis, die in Europa teils noch in puncto Privatsphäre herrscht. Übrigens gab es solche Bedenken auch beim Flugdatenschreiber. Die australische Pilotengewerkschaft etwa bezeichnete den von Warren vorgestellten Prototyp als „Spion, der mitfliegt“. Kein Flugzeug werde in Australien abheben, „wenn Big Brother lauscht“.